Die Einladung des Amtes für Jugend, Familie und Bildung der Stadt Leipzig zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Gastfamilien für minderjährige Flüchtlinge“ zog am gestrigen Abend etwa 200 Interessierte an. Offenbar waren die Einlader von dieser Resonanz überrascht, die Veranstaltung wurde also kurzerhand auf zwei Räume verteilt. Dennoch mussten zahlreiche Besucher mit Stehplätzen an der Wand und auf dem Flur Vorlieb nehmen. Eine Zusammenfassung der Voraussetzungen.
Mitarbeiter des Jugendamtes gaben zu Beginn einige grundsätzliche Informationen zu den im Verwaltungsdeutsch als „unbegleitete minderjährige Ausländer“ (umA) bezeichneten Jugendlichen.
Derzeit sind 345 junge Flüchtlinge in Leipzig untergebracht. Es handelt sich dabei zu 99% um männliche Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren, ganz überwiegend aus Syrien und Afghanistan. Während die syrischen Jugendlichen in der Regel über einen sehr hohen Bildungsstand verfügten, sei bei jenen aus Afghanistan eher das Gegenteil der Fall. Analphabetismus sei keine Seltenheit, hieß es von den Verantwortlichen der Stadtverwaltung.
Viele der Jugendlichen haben, so führten die Jugendamtsmitarbeiter weiter aus, in ihrem Heimatland Hinrichtungen und Bombardierungen miterleben müssen, auf ihrem Weg nach Europa Hunger und Durst erlitten oder Todesängste als Nichtschwimmer auf Schlepperbooten ausgestanden. Traumatisierungen seien die Folge, psychotherapeutische Behandlung nötig. Es wurde berichtet, dass in den Inobhutnahme-Einrichtungen des Jugendamtes nachts das Licht nicht gelöscht wird, weil die Jugendlichen Angst vor der Dunkelheit haben. Flugzeuggeräusche führten dazu, dass sich die Jugendlichen unter Tischen verstecken, Essen werde unter dem Bett gehortet.
Erkrankungen seien sehr häufig, genannt wurden insbesondere Hepatitis und Zahnerkrankungen.
Die jungen Männer seien muslimisch erzogen, in Großfamilien aufgewachsen. Das Akzeptanzverhalten gegenüber Frauen sei entsprechend unterentwickelt.
Religion spiele für die Flüchtlinge eine große Rolle. Moscheen würden bisher nicht aufgesucht, gebetet werde in den Einrichtungen. Gemeinsame Mahlzeiten spielten eine große Rolle. Schweinefleisch sei dabei tabu, gleiches gilt für Gelatineprodukte. Viele der Jugendlichen hätten Kontakt zu Angehörigen, die sich in der Heimat oder auf dem Weg nach oder in Europa befänden. Für Jugendliche aus Syrien gelte das ausnahmslos. Telefonate fänden fast täglich statt, dauerten in der Regel länger als eine Stunde. Durch die Familien würde ein großer Druck aufgebaut, viele der Jugendlichen wären danach sehr aggressiv und ungeduldig. Der Auftrag der Angehörigen an die Jugendlichen laute: „Komm ins Asylverfahren und hole uns nach“, berichtete die Jugendamtsmitarbeiterin.
Gastfamilien können Paare, Lebensgemeinschaften und Einzelpersonen sein. Grundsätzlich gilt: „Nicht Sie suchen sich ein Kind aus, sondern es wird nach den Bedürfnissen des Kindes ausgesucht.“ Gastfamilien erhalten ein Pflegegeld von 237 Euro sowie Unterhalt in Höhe von 500 bis 600 Euro monatlich. Wie bei der Anerkennung als Pflegefamilie muss ein Eignungsfeststellungsverfahren durchlaufen werden, das im günstigsten Fall zwei bis drei Monate dauert. Dabei werden gesundheitliche Voraussetzungen ebenso geprüft wie die wirtschaftlichen Verhältnisse. Eine Schufa-Auskunft wird eingeholt und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis muss vorgelegt werden. Dem untergebrachten Jugendlichen sollte ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt werden können. WLAN muss unbedingt vorhanden sein, damit der Kontakt zu den Angehörigen gewährleistet werden kann. Es besteht Residenzpflicht für den Jugendlichen, das heißt, Urlaubsreisen an die Ostsee oder gar ins Ausland müssen einzeln beantragt werden, dazu bedarf es größeren zeitlichen Vorlaufs. Wegen des intensiveren Betreuungsbedarfs sei die Gastfamilienrolle für voll Berufstätige aus Sicht des Jugendamtes schwierig auszufüllen. Psychologische Betreuung in der Familie könne nicht angeboten werden, in Leipzig gebe es nur einen einzigen arabisch sprechenden Psychologen.
Gasteltern erhielten vom Jugendamt eine Generalvollmacht, womit einfache Entscheidungen bezüglich Schule und Arztbesuch durch die Gasteltern getroffen werden könnten. Bei Facharztbesuchen sei jedoch der Vormund im Vorfeld zu beteiligen. Zur Dauer des Aufenthaltes in der Gastfamilie kann das Jugendamt keine Auskünfte geben. Theoretisch könne es sein, dass Angehörige erscheinen und der Minderjährige die Gastfamilie verlassen muss. Die Rechtslage nach Erreichen der Volljährigkeit sei ungeklärt.
Eine zweite Möglichkeit des Helfens ist das Übernehmen von Patenschaften für Flüchtlinge. Das Jugendamt verfüge allerdings über keine Organisationsstelle für Flüchtlingspatenschaften. Beim Flüchtlingsrat werden die Patenschaften koordiniert, momentan gebe es aber einen Überschuss an Paten.
Wer einen umA aufnehmen möchte, kann sich an den Flüchtlingsrat (0341 9613872) oder das Leipziger Jugendamt wenden. Dort werden die Anträge gestellt und auch geprüft. (AM)
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