Nach dem Brief des Arbeitskreises Gymnasien im Stadtelternrat Leipzig an den Leiter der Sächsischen Bildungsagentur Leipzig, Ralf Berger, haben wir mal bei der VILLA nachgefragt, was dran ist, an den Aussagen. Die VILLA koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen in der Unterkunft an der Alten Messe Leipzig, auch den Deutschunterricht. Oliver Reiner, der Geschäftsführer der VILLA hat geantwortet.
Leipziger Eltern-Blog: Die Villa bietet gemeinsam mit Ehrenamtlichen Deutschunterricht in der Unterkunft an der Alten Messe an. Wie viele Leipziger haben sich denn bereit erklärt, mitzumachen?
Oliver Reiner: Unser Soziokulturelles Zentrum „Die VILLA“ koordiniert ehrenamtliche Deutschangebote für Geflüchtete an zahlreichen Standorten in Leipzig. Insgesamt haben sich bei uns bisher über 350 Leipziger dafür gemeldet. Dieses Engagement und die Hilfsbereitschaft beeindruckt mich immer wieder. Etwas mehr als 200 Leipziger sind in aktuell in unseren Angeboten Woche für Woche aktiv. Wir kommen damit auf ca. 120 Deutschstunden pro Woche mit ungefähr 500 Teilnehmern. Für Flüchtlinge auf dem Alten Messegelände sind über uns etwa 40 Leipziger aktiv. Sie überbrücken die Lücke bis die staatlichen Angebote greifen – also Kinder eine reguläre Schule und Erwachsene einen der professionellen Sprachkurse besuchen können.
Gibt es Vorgaben, nach denen die Deutschstunden gestaltet werden müssen/sollen?
Wir sind dabei bekennende Amateure. Die aller wenigstens unserer Engagierten sind Lehrer. Wir sind einfach Menschen, die sich etwas Zeit nehmen, um mit den Geflüchteten zu kommunizieren. Klar, lernen die Geflüchteten dabei ein paar Worte Deutsch. Noch viel wichtiger ist aber, dass wir sie für ein paar Stunden aus den schwierigen Situationen in den Großunterkünften herausholen. Man muss sich vorstellen, am Deutschen Platz gibt es Großzelte in denen 200 Menschen leben. Die Hälfte davon sind Kinder. Es gibt keinen Spielplatz und fast keine Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Leben besteht praktisch nur aus Warten. Völlig klar, dass dabei kleine Missverständnisse auch schnell mal eskalieren. Mit unseren Angeboten bieten wir ein wenig Abwechslung von diesem aus meiner Sicht unerträglichen Alltag. Wir haben deshalb auch 8.000 Deutschlernhefte drucken lassen, die wir kostenlos an Geflüchtete in Leipzig verteilen.
Suchen Sie noch Freiwillige?
Weitere Engagierte sind dabei immer gern gesehen. Wir werden im April am Deutschen Platz einen eigenen Raum für unserer Angebote beziehen können und haben so die Möglichkeit dort noch viel mehr zu machen. Noch im März wollen wir außerdem mit einem täglichen Angebot in der Erstaufnahmeeinrichtung in Plagwitz beginnen. Dafür findet am Freitag, 11. März 2016 um 17 Uhr ein Infotreffen bei uns in der VILLA statt.
Wie lange wohnen die Geflüchteten bereits in dieser kommunalen Einrichtung?
Die Unterkünfte auf dem Alten Messegelände sind Ende vergangenen Jahres bezogen worden. Der überwiegende Teil der Bewohner lebt unseres Wissens seit dem dort.
Gehen die schulpflichtigen Kinder aus dem Zeltlager bereits – wie es ja die deutsche Schulpflicht vorschreibt – zur Schule?
In der Regel leider nein. Nach unseren Beobachtung können die allerwenigsten der Flüchtlingskinder in Leipzig aktuell eine reguläre Schule besuchen. Das Problem betrifft übrigens nicht nur die Kinder, die mit ihren Eltern hier in Leipzig gelandet sind. Wir haben auch ca. 350 minderjährige Flüchtlinge ohne Angehörige hier. Man muss ich das mal vorstellen: Vielleicht 16 Jahre alt. Voller Sorgen um die Eltern und Freunde zu Hause oder irgendwo auf der Fluchtroute. Manchmal ist der Kontakt sogar ganz abgerissen. Angst, wie es mit einem persönlich weitergeht: wird man in eine andere Stadt geschickt oder gar ganz abgeschoben. Und den ganzen Tag nichts zu tun – nichts was einen von seinen Sorgen ablenkt.
Ich will nicht schwarz malen, aber das ist der ideale Nährboden, um auf die schiefe Bahn zu geraten. Mit unseren Angeboten bieten wir eine Alternative. Diese Angebote wollen wir weiter ausbauen.
Woran liegt es, dass die Kinder nicht in die Schule gehen können?
Diese Frage kann nur das Amt für Jugend, Familie und Bildung beantworten. Es liegt der Verdacht nahe, dass in Leipzig die notwendigen Plätze fehlen in Klassen für Schüler, die erst einmal die deutsche Sprache lernen müssen. Wir wissen, dass unsere Schulen aus alle Nähten platzen und die Ausbildung von Lehrern in Sachsen viele Jahre nicht im nötigen Umfang erfolgte.
Gibt es weitere erwartete Probleme?
Ja. Unser Bildungssystem sieht eine Mitwirkung der Eltern vor. Diese müssen ihre Kinder beispielsweise in einer Schule anmelden. Woher sollen Geflüchtete aber wissen, was sie wann und wo machen müssen, damit ihre Kinder eine Schule besuchen können? Selbst wenn sie irgendwann in einem Schulsekretariat stehen, sind dort alle Formulare und Merkblätter in für sie unverständlichem Deutsch. Wir wissen, wie herausfordernd es selbst für uns hier geborene manchmal ist, alles in der richtigen Frist vorzulegen. Für Geflüchtete ist das noch einmal um ein Vielfaches schwieriger. Das ist eine riesige Herausforderungen sowohl für die Geflüchteten als auch für die Schulen.
Wir als VILLA werden uns verstärkt um dieses Problem kümmern und bauen Unterstützungssysteme auf, damit die Kommunikation zwischen Schulen und Geflüchteten besser gelingen kann.
Für ab wann ist der Schulbesuch dieser Kinder im Zeltlager Alte Messe geplant?
Die Sozialarbeiter in den Unterkünften gehen davon aus, dass mit dem nächsten Schuljahr ab September die Kinder eine Schule besuchen können. Wir hoffen, das klappt. Die meisten Kinder wären dann ein Jahr in Deutschland ohne die Möglichkeit, etwas zu lernen.
Und generell: Ab wann besteht für die Kinder Geflüchteter Schulpflicht?
In Sachsen besteht allgemeine Schulpflicht. Jedes Kind, welches sich in Sachsen aufhält und über sechs Jahre alt ist, hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht eine Schule zu besuchen. Diese Schule muss der Staat bereitstellen: Das Land Sachsen die Lehrer und die Stadt Leipzig die Unterrichtsräume.
Wie werden Ihre Angebote finanziert?
Ausschließlich über Spenden. Das Land Sachsen hat zwar vor einigen Wochen angekündigt, die vielen integrativen Angebote der VILLA in diesem Jahr fördern zu wollen, Sprachangebote sind dabei allerdings ausdrücklich ausgenommen. Ich persönlich kann die Strategie unserer Landesregierung dabei nicht nachvollziehen. Für mich sind Deutschkenntnisse die wichtigste Voraussetzung, dass Geflüchtete integriert werden können. Deswegen rufen wir weiterhin zu Spenden auf. Mit relativ wenig Geld können wir hier sehr viel bewirken: https://www.betterplace.org/de/projects/34846-unterstutze-deutschangebote-fur-gefluchtete-in-leipzig
Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass die Kinder Geflüchteter unterrichtet werden?
Man kann die Frage auch rumdrehen: Warum sollten Kindern, die aus Krisengebieten entkommen sind, schlechter behandelt werden, als Kinder, die hier bei uns in Frieden geboren wurden? Für mich haben alle Kinder die gleichen Lebenschancen verdient.
Egal ob die Kinder später mal hier bei uns bleiben werden, oder die Chance für sie besteht, zurück in ihre Heimat zu gehen, je mehr sie gelernt haben, um so besser werden sie ihr Leben dann meistern können. Insofern ist Engagement für Geflüchtete nicht nur menschlich das einzig richtig, sondern wenn man es wirtschaftlich betrachten will, eine sehr gute Investition.
Das große Engagement für unsere Angebote zeigt, dass viele Leipziger das ähnlich sehen.
Interview: Linda Maciejewski
Links zum Thema:
Brief des AK Gymnasien im Stadtelternrat Leipzig an Ralf Berger
Beitrag von Leipzig Fernsehen
Anfrage des Stadtrates Ansbert Maciejewski (CDU)
Die Arbeit in der Flüchtlingshilfe verdient großen Respekt. Das am Anfang! Aber trotzdem sollte man mit Verdächtigungen vorsichtig sein. „Es liegt der Verdacht nahe…“ Bis dato musste noch kein Kind mit Anspruch auf Unterricht in DaZ vor einer verschlossenen Schultür stehen, weil es weder Lehrer noch Räumlichkeiten gab. An mittlerweile ü 30 Schulen der Stadt Leipzig findet DaZ-Unterricht statt. Und Wartezeiten von mehreren Monaten sind nicht zutreffend. Alle Kinder bekommen in der Bildungsagentur, wenn sie angemeldet werden(!), eine Bildungsberatung mit einer damit verbundenen Schulzuweisung für den DaZ-Unterricht. Eine vermutete Orientierung auf September 2016 ist ganz einfach falsch!!! Auch müssen sich die Eltern nicht mit ihren Kindern an den Schulen selbst anmelden, nein, die Anmeldung erfolgt zur Bildungsberatung in der Bildungsagentur. Dann gibt es durchschnittlich Wartezeiten von 2-3 Wochen, aber nicht von Monaten! Wenn Kinder nicht für den Schulbesuch angemeldet werden, dann sind sie leider auch für eine Klassenbildung nicht „existent“… Das ist leider so! Erst vor wenigen Tagen erging in der AG Flüchtlingssozialarbeit der Stadt Leipzig an die Träger der verschiedenen Flüchtlingsunterkünfte die Bitte, zeitnah die Kinder zur Bildungsberatung anzumelden und nicht zu warten, bis umfangreiche Listen zusammengekommen sind. Und noch ein letzter Gedanke: Kein Vorwurf an die Träger und Ehrenamtlichen in den Unterkünften, aber das Verfahren zu den Daz-Klassen sollte auch dem SER bekannt sein, und auch der Interviewpartnerin!!! Erst am 21.Januar 2016 waren Vertreter der SBAL zu einer Gesprächsrunde des SER zum Thema „Flüchtlingsfamilien und deutsche Schulpflicht“!
Sehr geehrter Herr Schulz, ich verstehe ja dass sie ihren Arbeitgeber in Schutz nehmen. Dennoch is es Realität, dass die Kinder eben nicht nur bis zu 3 Wochen warten müssen. Ich unterrichte selbst die Kinder vom Deutschen Platz. Seit 5 Wochen hat da genau ein Kind von den gute 25 Kindern die wir betreuen einen Schulplatz erhalten. Ich frage gerne noch mal nach ob die bei Ihnen alle gemeldet sind. Da es sich aber um Familien mit vielen Kindern handelt ist es schwer vorstellbar, dass das 9-jährige Mädchen angemeldet ist aber ihre Brüder nicht. Wir können das ja gerne mal auf der Arbeitsebene klären. Es hilft nicht weiter die Augen vor den Missständen zu verschließen und zu erklären das nicht sein kann, was nicht sein darf. Es ist mir auch vollkommen klar das die Bildungsagentur alles versucht was möglich ist. Gegenseitige Verdächtigungen helfen da nicht. Greifen Sie uns doch unter die Arme bei eine Lösung für die Kinder gefunden wurde.
Hat dies auf lipsiasaxonia rebloggt.
ch hab jetzt erstmal amtliche Auskunft angefordert. Vielleicht kann ja Herr Fabian helfen: https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1003761